Wie die negativen Folgen unserer Lebensweise räumlich und zeitlich ausgelagert werden.
In der Geländelimousine, dem SUV, zum Biobauernhof; fair gehandelter Kaffee aus Aluminiumkapseln, Elektronik und Textilien aus der Produktion unterbezahlter asiatischer Arbeitskräfte, günstige Städteflüge am Wochenende („London ab 77 Euro“) …
Ob gedankenlose Bobos oder KonsumentInnen mit Gewissensbissen – alle sind Teil des Systems, das Ulrich Brand als „imperiale Lebensweise“ bezeichnet. „Wir in den materiell reichen Ländern greifen in unserem Alltag ganz selbstverständlich und ohne böse Absicht auf die billigen Ressourcen und Arbeitskräfte der restlichen Welt zurück“, sagt der an der Uni Wien lehrende Politologe. Die Politik sichere dieses System auch noch ab.
Botschaft mit internationalem Echo. Um zu einer besseren, solidarischen Welt zu kommen, müssten sich die Menschen aus diesem System aus Wachstumszwang und Hyper-Konsum befreien, forderte Brand gemeinsam mit seinem Berliner Kollegen Markus Wissen im 2017 erschienenen Bestseller über die „Imperiale Lebensweise“, dessen Botschaft sie seither international mit starkem Echo verbreiten.
AktivistInnen und AutorInnen nahmen sich in Deutschland in „Schreibwerkstätten“ des Themas an, dessen vielen Facetten in Bereichen wie Ernährung und Kleidung, Wohnen und Mobilität sie im Detail nachgehen. Seit Jänner 2019 gibt es eine, von Brand und Magdalena Heuwieser initiierte Schreibwerkstatt auch in Wien, deren Fokus die Verwobenheit österreichischer Institutionen (z.B. auch der Gewerkschaften) mit der imperialen Lebensweise ist.
Verdrängung der Alternativen. „Imperial“ ist daran, dass sie sich stetig ausbreitet, den Alltag durchdringt und andere Lebensweisen verdrängt. Den meisten Menschen scheint sie (noch) alternativlos zu sein. Wachstum wird zum Zwang, weil das investierte Kapital sich rentieren, also Gewinne abwerfen muss. Eine herausstechende Eigenschaft ist die „Externalisierung“ negativer Folgen, die zeitlich (Vergraben von Atommüll zulasten späterer Generationen) oder räumlich (Export von giftigem Elektroschrott nach Afrika) sein kann.
Aus dem globalen Süden kommt ein Großteil der Rohstoffe und industriell gefertigten Waren, wobei vom hiesigen Verkaufswert nur ein Bruchteil (bei Smartphones 5,3 Prozent) bei den dortigen ArbeiterInnen bleibt. Trotzdem hat sich auch im Süden eine Mittelschicht herausgebildet, die den westlichen Lebensstil beansprucht, was das Gefälle zu den Armen noch deutlicher macht.
LeserInnen des Südwind-Magazins sind viele dieser Entwicklungen, die hier in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden, bestens bekannt. Tatsächlich hat Brand den Begriff „Imperiale Lebensweise“ bereits 2012 erwähnt (in einem Interview mit SWM-Redakteur Werner Hörtner, der 2015 leider verstorben ist). Damals stand noch die zerstörerische Ausbeutung von Rohstoffen im Vordergrund.
Viele gute Ideen. Inzwischen ist man sich der Bedrohungen durch den Klimawandel bewusster geworden. Auch hier werden die sozialen und ökologischen Kosten externalisiert, „in Gestalt von CO2, das bei der Herstellung der Konsumgüter für den globalen Norden emittiert und von den Ökosystemen der Südhalbkugel absorbiert wird (beziehungsweise sich in der Atmosphäre konzentriert)“, wie Brand in seinem Buch schreibt.
Flugzeugverkehr und Autos (speziell die SUVs) emittieren besonders stark Treibhausgase; auch die Fleischproduktion ist energie- und damit CO2-intensiv.
Klimawandel und Naturkatastrophen könnten bis zum Jahr 2050 „bis zu einer Milliarde Menschen aus ihrer Heimat vertreiben“, heißt es im Buch „Auf Kosten anderer“, einem lesenswerten Reader zum Thema.
Diese Aussichten lassen die eben noch als unerfüllbar geltende Forderung nach einer „großen Transformation“, weg vom Wachstumszwang, hin zu einem solidarischen und ökologischen Leben ohne Ausbeutung und Naturzerstörung, eher realisierbar erscheinen. Es gibt dafür keinen Masterplan, aber viele Ideen für ein „gutes Leben“ (siehe Interview mit Ulrich Brand auf den folgenden Seiten).
Erhard Stackl ist freiberuflicher Autor und Journalist und Herausgebervertreter des Südwind-Magazins.
Da Sie schon mal hier sind: Qualitätsjournalismus kostet Geld, und ist wichtiger denn je. Seit 2017 ist das Südwind-Magazin vollkommen unabhängig. Unterstützen Sie unsere kritische Berichterstattung mit einem Abo oder einer Spende. Vielen Dank!
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.